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16.10.2007: Deutsch - Hunde, die bellen, beißen nicht

Wenn ein Hund zubeißt, sind immer zwei beteiligt: Hund und Opfer. Viele Menschen haben Angst vor Hunden - und Hunde? Diese sind Rudeltiere und folgen ganz bestimmten Regeln. Doch diese Regeln sind den wenigsten Menschen vertraut. Gibt es mögliche Therapien, Auswege für beide Seiten? Was sind die Ursachen, wenn ein Hund zubeißt? Experte Dr. Ronald Lindner klärt auf:
Kommunikation Hund - Mensch

Hunde verstehen sich kommunikativ in der Tat relativ gut mit Menschen und dies trotz vielfältiger Interpretations- und Kommunikationsfehler auf Seiten der Menschen. Über Jahrtausende hinweg bevorzugte der Mensch diejenigen Tiere, die am besten mit ihm kommunizieren konnten. Dennoch sind immer noch Missverständnisse zwischen Hund und Mensch an der Tagesordnung, da die Menschen nicht akzeptieren können (und wollen), dass wir die "Sprache" der Hunde lernen müssen, um sie besser verstehen (und beeinflussen) zu können und nicht umgekehrt. Hunde und Menschen "sprechen" verschiedene Sprachen. Anders als wir Menschen verständigen sich Hunde non verbal (ohne Worte), besitzen dafür jedoch ein multifaktorielles System der verschiedensten Kommunikationsformen (taktil, olfaktorisch, optisch, akustisch). Sie verfügen über ein ausgeprägtes Ausdrucksverhalten (Fähigkeit zur Gestaltwahrnehmung), welches zur Kommunikation von uns Menschen genutzt werden sollte. Nur der adäquate Umgang mit Hunden durch Kennen, Beachten und Nutzen ihrer angeborenen Ausdrucksformen macht eine Verständigung möglich und trägt zur Vermeidung der Vermenschlichung unserer Hunde bei. Fazit: Hunde können nur die Kommandos ausführen, die ihnen der Mensch vorher beigebracht beziehungsweise antrainiert hat!

Kommunikation - wie funktioniert sie?

Hunde haben eine besondere Fähigkeit, sich nicht nur über vielfältige Einzelmerkmale (sehen, riechen, hören, fühlen) zu verständigen, sondern diese in bestimmten Kombinationen einzusetzen. Menschen, die mit ihren Hunden ganzheitlich kommunizieren, in dem sie Gestik, Mimik, Lautstärke und Klang der Stimme so anpassen beziehungsweise kombinieren, dass sie vom Hund optimal verstanden werden, erlangen so viel schneller und häufiger die Aufmerksamkeit ihrer Tiere. Nur über das geänderte Verhalten des Hundes können wir erfahren, ob und wie unsere Signale bei diesem angekommen sind. Die Kommunikation mit Hunden setzt Wissen über die "Hundesprache" voraus, da Hunde Menschenverhalten nach "hundlichen" Maßstäben interpretieren und sich Menschen und Hunden gegenüber im Prinzip gleich verhalten. Natürlich ist dies abhängig davon, ob und in wieweit der Hund den Umgang mit Menschen seit frühester Welpenzeit als etwas Positives erleben konnte.

Ein Beispiel: Ein lachender Mensch, der sich zum Hund herunterbeugt und ihm tief in die Augen schaut, ist für einen gut sozialisierten Hund, der frühzeitig diese menschliche Geste als nicht bedrohlich kennen lernen konnte, eine freundliche Erscheinung. Im Normalfall jedoch bedeutet dieses Verhalten aus Hundesicht eine Bedrohung, die Lefzen zeigt, drohfixiert und Distanzverringerung vollführt. Aus dieser Situation kann es zu einem Angstverhalten beim Hund kommen. Wenn dieses nun wiederum falsch interpretiert wird, indem man als Mensch weiter die Distanz zum Hund verringert und der Hund nicht ausweichen kann, wird er (aus der Angst heraus) zunächst Drohverhalten (Lefzen heben, Nasenrückenrunzeln, Knurren, Bellen) gegenüber dem Menschen zeigen. Wenn auch dies vom Menschen nicht als eindeutiges Signal "...bis hierhin und nicht weiter!" verstanden und akzeptiert wird, kann es schnell zur Eskalation der Angstaggression kommen - der Hund beißt zu.

Niemand wird in der menschlichen Gesellschaft verlangen können, dass ein Mensch ohne Lernmöglichkeiten sofort eine Fremdsprache beherrscht. Da es nicht möglich ist, dass Hunde "deutsch" oder eine andere verbale Sprache lernen, sollten wir uns bemühen, die "Hundesprache" und das Verhalten unserer Vierbeiner zu studieren.

Die wichtigsten "Vokabeln" der Hundesprache und die häufigsten Missverständnisse zwischen Hund und Mensch:

• Angstgesicht:
Augen groß, große Pupillen, Blick häufig nicht fokussiert, Maulspalte und Lefzen lang nach hinten gezogen, Ohren hinter den Kopf an den Nacken gelegt.

• Unterordnungsgesicht:
Es sieht, bis auf die Pupillen, so aus wie das Angstgesicht.

• Spielgesicht:
Übertriebenes Zeigen von allen möglichen Gesichtsformen im schnellen Wechsel und ohne dass sie im Kontext zusammenpassen.

• Entspanntes Gesicht:
Ohren, Lefzen, Augen und Kopfhaut entspannt in der rassetypischen Grundstellung.

• Imponiergesicht:
Ohren nach vorn gerichtet, Augen fokussieren, Pupillen klein, Kopfhaut angespannt, Lefzen gespannt, Maulspalte kurz.

• Drohgesicht (unsicher):
Angstgesicht; zusätzlich möglich: Nasenrückenrunzeln, geöffnete Maulspalte mit mehr oder weniger entblößten Zähnen.

• Drohgesicht (sicher):
Imponiergesicht; zusätzlich möglich: Nasenrückenrunzeln, geöffnete Maulspalte mit mehr oder weniger entblößten Zähnen. Klappen der Kiefer.

• Unsicherheit/Angst:
Körper zusammengeschoben und leicht nach hinten gedrückt, eingeknickte Gliedmaßen ("kleine Gestalt"), Schwanz unter den Bauch gezogen, Hals eingezogen.

• Sicher/Imponieren:
Körper groß gemacht und leicht nach vorn geschoben, Beine steif durchgedrückt, Schwanz hoch getragen.

• Neutral:
Körper und Schwanz in rassetypischer Grundstellung.

• Spiel:
Übertriebene Bewegungen und schneller Wechsel von diversen Körperstellungen ohne "Ernstbezug". Typisch ist die "Vorderkörpertiefstellung".

Bindungsfördernd und wichtig für eine tiergerechte Kommunikation zwischen Mensch und Hund sind Streicheleinheiten im Bereich des Kopfes und Körpers, was die Bindung festigt und soziale Sicherheit gibt. Das Anstupsen des Menschen mit der Nase, das ins Maul nehmen von Händen, der Einsatz von Zunge beziehungsweise das Knabbern mit den Zähnen kann eine Aufforderung zum Spiel, zu Streicheleinheiten oder einfachem Kontakt sein. Aber nicht jeder Hund ist sozial sicher und angstfrei erzogen worden und empfindet den Kontakt mit Menschen und die Berührung durch Hände als etwas Positives! So ist Schlagen als physisches Strafen im Verhaltensrepertoire der Hunde nicht vorhanden, weshalb Hunde dieses menschliche Fehlverhalten nicht nachvollziehen können. Das Ergebnis sind handscheue Hunde, die aus Unsicherheit und Angst vor menschlichen Kontakten zu sogenannten "Angstbeißern" werden! Des Weiteren gibt es zahlreiche mögliche Missverständnisse in der taktilen Kommunikation zwischen Hund und Mensch. So kann ein Kopf- oder Pfoteauflegen als Imponiergeste, ein Wegdrängen oder Anrempeln als "Bodycheck" missverstanden werden und zur Konfrontation führen. Fazit: Nicht jeder Hund sollte gleich und sofort bedrängt und angefasst werden.

Quelle: http://www.mdr.de/hier-ab-vier/fiffiundco/4923601.html