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29.08.2007 Schweiz - Bitte an die Leine nehmen. Verschärfung der Haftpflicht für Hundehalter überzeugt nicht

Zum Schutz vor gefährlichen Hunden schlägt der Bundesrat eine Verschärfung der Haftpflicht von Hundehaltern vor. Im folgenden Artikel analysiert der Autor die Vorlage und kommt zum Schluss, dass sie mehr politischem Aktionismus denn echter rechtlicher Notwendigkeit entspringt.
Von Beat Schönenberger

Unter dem plakativen Titel «Kampfhunde» haben in den letzten Jahren immer wieder Meldungen über gravierende Unfälle mit Hunden, bei denen Menschen verletzt oder gar getötet wurden, für Schlagzeilen gesorgt. Spätestens seit dem tragischen Unfall vom 1. Dezember 2005 im zürcherischen Oberglatt, bei dem ein sechsjähriger Knabe von drei Pitbulls angefallen und tödlich verletzt wurde, ist das Thema auch ins Zentrum der öffentlichen Diskussion in der Schweiz getreten. Auf politischer Ebene führte dies zu verschiedenen Vorstössen. So befinden sich momentan zwei Vorlagen in der Vernehmlassung. Während die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates (WBK) Massnahmen wie Verbote bzw. Bewilligungspflichten für gewisse Hunderassen vorschlägt (NZZ 21. 04. 07), beschränkt sich die bundesrätliche Vorlage auf eine Verschärfung der Haftpflicht von Hundehaltern (NZZ 16. 06. 07). Da die Arbeit der WBK schon an anderer Stelle kritisch beleuchtet wurde (NZZ 21. 04. 07), befasst sich dieser Beitrag mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen Gefährdungshaftung. Auch dieser Vorschlag überzeugt bei kritischer Betrachtung nicht.
Unnötige Revision

Nach der heutigen Rechtslage haftet der Halter eines Hundes, aber auch eines jeden anderen haltbaren Tieres (z. B. Katze, Pferd, Kuh) gemäss Art. 56 OR für den von diesem Tier angerichteten Personen- und Sachschaden. Allerdings kann sich der Tierhalter von seiner Haftung befreien, wenn er nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt in der Verwahrung und Beaufsichtigung des Tieres angewendet hat.

Der Bundesrat schlägt nun vor, diesen Entlastungsbeweis für Halter «gefährlicher» Hunde zu streichen. Eine Variante sieht eine gleiche Lösung für alle Hunde vor. Dies soll in erster Linie dem Schutz der Geschädigten dienen, da sie nur noch die Schädigung durch einen (gefährlichen) Hund nachweisen müssten. Im Ergebnis resultiert daraus eine sog. Gefährdungshaftung, die das Schweizer Recht bisher nur für vom Gesetzgeber speziell bezeichnete, nicht leicht beherrschbare Gefahrenquellen vorsieht. Die Haltung gefährlicher Hunde würde damit in die gleiche Kategorie fallen wie z. B. der Betrieb von Motorfahrzeugen oder Kernanlagen.

Auch wenn der Bundesrat den Grund einer Haftungsverschärfung für Hunde im Schutz von Geschädigten sieht, bleibt er die Antwort schuldig, worin dieses im Vergleich zur heutigen Rechtslage erhöhte Schutzbedürfnis liegt. Betrachtet man nämlich die Fälle, die Anlass zur Diskussion gegeben haben, so zeigt sich, dass es hierfür sicherlich keiner Änderung der Tierhalterhaftung gemäss Art. 56 OR bedarf. Der Halter eines angreifenden Kampfhundes wird sich praktisch nie von seiner zivilrechtlichen Haftung befreien können. Die Tatsache, dass dieser Hund einen Menschen verletzen konnte, beweist schon genügend, dass das Tier nicht richtig beaufsichtigt worden ist. Damit bietet die heutige Tierhalterhaftung – selbst in ihrer Form mit Entlastungsbeweis – für die zur Diskussion stehenden Fälle genügenden Schutz. Bei Licht betrachtet, ist eine Haftungsverschärfung für Kampfhunde somit unnötig.

Schwächen der Vorlage

Abgesehen von der Tatsache, dass die Vorlage weniger einer rechtlichen Notwendigkeit als vielmehr politischem Aktionismus entspringt, weist der Vorschlag auch weitere Schwächen auf. In der vom Bundesrat bevorzugten Version soll die Gefährdungshaftung nur Halterinnen und Halter gefährlicher Hunde treffen. Die genaue Bezeichnung der gefährlichen Hunde soll der Bundesrat in einer Verordnung vornehmen. Dies dürfte aber nicht ganz einfach sein. So lässt sich aus der Statistik des Bundesamtes für Veterinärwesen über Hundebisse eine spezielle Gefährdung durch bestimmte Hunderassen nicht ableiten. Als weitere Beurteilungskriterien sollen daher auch z. B. Grösse und Gewicht hinzugezogen werden. Hundehalterinnen und -halter seien daher nicht nur aus Tierliebe, sondern auch aus haftungstechnischen Gründen davor gewarnt, ihr Tier zu überfüttern!

Aufgrund der Schwierigkeiten der Definition gefährlicher Hunde sieht eine Variante der Vorlage eine Gefährdungshaftung für alle Hunde vor. Damit wird die Hundehaltung als solche aber zu einer «qualifizierten, nicht leicht beherrschbaren Gefahr», ist die Gefährdungshaftung – nach eigener Aussage des Bundesrates – doch nur dort sinnvoll, wo von einer ebensolchen auszugehen ist. Zwar geht aus der vorgenannten Statistik – sie nennt 1003 Bisse beim Menschen zwischen 1. September und 31. Dezember 2006 – ein gewisses hundespezifisches Gefährdungspotenzial zweifelsfrei hervor. Eine auf alle Hunde ausgedehnte Gefährdungshaftung dürfte aber hauptsächlich Bagatellfälle betreffen. Solche zwar unangenehmen Vorfälle sind aber nicht Ausdruck eines verwirklichten Gefahrenpotenzials, sondern des allgemeinen Lebensrisikos.

Widersprüche in der Wertung

Eine Gefährdungshaftung für Hunde, unabhängig davon, ob diese auf gefährliche Hunde beschränkt ist oder nicht, führt in jedem Fall zu Wertungswidersprüchen. So soll für (gefährliche) Hunde nun eine Gefährdungshaftung gelten, der Halter eines Tigers oder einer Giftschlange aber weiterhin der milderen Norm von Art. 56 OR unterstehen. Wegen des kaum gelingenden Entlastungsbeweises wird die Systemwidrigkeit dieses unterschiedlichen Haftungsmassstabs aber erst bei scheinbar harmlosen Tieren offenkundig. So ist aus der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung ein Fall bekannt, wo einem Tierhalter trotz schwerwiegender Körperverletzungen der Entlastungsbeweis gelang. In diesem Fall wurde ein Ehepaar auf einer Wanderung über eine Alpweide aber nicht etwa von einem Hund, sondern von Mutterkühen erheblich verletzt. Wenn also von einem erhöhten haftpflichtrechtlichen Schutzbedürfnis von Geschädigten gesprochen wird, so besteht dieses weit mehr gegenüber Kühen als gegenüber Kampfhunden.
Wenn schon, dann für alle Tiere

In den meisten Fällen bietet die heutige Tierhalterhaftung genügenden Schutz. Will man die wenigen Lücken noch schliessen, so muss eine Gefährdungshaftung aber für alle Tiere diskutiert werden. Grund für diese Haftungsverschärfung kann nur die Tatsache sein, dass ein Tier einen Menschen erheblich verletzt. Ob die Verletzung nun durch einen Hund, eine Kuh oder eine Giftschlange verursacht wird, kann keine Rolle spielen. In dieser Form ist auch eine Kategorisierung gefährlicher Tiere verzichtbar. Jedes Tier, das einen Menschen verletzt, ist gefährlich. Anknüpfungspunkt einer Gefährdungshaftung für Tiere muss damit die Körperverletzung eines Menschen sein. Allenfalls wäre hierbei ein Ausschluss von Bagatellfällen (z. B. in Form eines Mindestschadens) zu überlegen. Aufgrund des tatsächlichen Schutzbedürfnisses könnten Sachschäden hingegen ganz vom Anwendungsbereich ausgeschlossen bleiben.
Der Bundesrat lehnt die Erweiterung der Gefährdungshaftung auf alle Tiere ab, da er in Verkennung der Tatsachen ein entsprechendes Gefahrenpotenzial verneint. Zudem sei auch die Landwirtschaft nicht bereit, die Kosten dieser bereits im Rahmen der Haftpflichtrevision vorgeschlagenen Lösung zu tragen. Im Haftpflichtrecht darf die Befindlichkeit eines potenziellen Schädigers aber nicht entscheidend sein. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber, gerade bei Gefährdungshaftungen, am tatsächlichen Risikopotenzial zu orientieren.
In der vorliegenden Form ist die Revisionsvorlage eine Scheinlösung, die schleunigst an die Leine zu nehmen ist!

Quelle: NZZ Online http://www.nzz.ch/nachrichten/schweiz/aktuell/bitte_an_die_leine_nehmen_1.547511.html